Es tilgen Feuerzungen

Programm Komponistenportrait Gernot Tschirwitz
Evangelische Kirche Obereisenheim; Sonntag, 16. Juni 2013, 17.00 Uhr

 

DREI GALGENLIEDER (1964/2013)
für hohe Frauenstimme und Klavier nach Gedichten von Christian Morgenstern (1871–1914)
Der Rock • Das Wasser • Die Hystrix

Das einarmige Kreuz ohne Kopf mit der Basis über dem Winkel gibt Christian Morgensterns Gedichtsammlung von 1905 den Titel. Zusammen mit Palmström und Palma Kunkel sind seine Galgenlieder wohl am bekanntesten geworden und bei vielen Komponisten als Vorlage beliebt. Weniger Erfolg hatte Morgenstern mit seinem ernsten lyrischen, dramatischen und schriftstellerischen Schaffen. • Vor bzw. zu Beginn meiner Studienzeit entstanden, damals gesetzt für Bassbariton, wurden diese drei Lieder auf Vermittlung von Bertold Hummel 1964 am Bayer. Staatskonservatorium in Würzburg uraufgeführt und anschließend vom Bayer. Rundfunk, Studio Nürnberg, aufgenommen – 2013 umgearbeitet, um sie gemeinsam mit der Sopranistin Regina J. Kleinhenz aufzuführen.

 

AUFFORDERUNG ZUR BESCHEIDENHEIT (1966/2012)
Drei Epigramme nach Erich Kästner (1899–1974) für Frauenstimme und Klavier
Aufforderung zur Bescheidenheit • Elegie conditionalis • Junge Dame vorm Sarggeschäft

Ein Epigramm ist ein Sinnspruch, ein sehr kurzes, oft ein Spottgedicht. Es soll Erwartung wecken und dann überraschend Auskunft geben. Diese Regel veranschaulicht ein Beispiel, das Erich Kästner auf einem Südtiroler Marterl vorfand: einem tödlich verunglückten Holzknecht gewidmet, hebt es mit der gewagten Behauptung an „Es ist nicht weit zur Ewigkeit.“ Es folgt der wahrhaft überraschende Aufschluss „Um acht ging Martin fort, um zehn Uhr war er dort.“ • Die vorliegenden drei Kurzgedichte wurden 1966 für mittlere Männerstimme vertont und am Bayer. Staatskonservatorium uraufgeführt, 2009 umgearbeitet für Dorothe Kimmich, also für tiefe dramatische Altstimme. Heute Abend erklingt die eigens für Gigi Pfundmair erstellte dritte Fassung für hohe Stimme. In diesen Texten verwirklicht Kästner auf drastische Weise die Doppelregel Erwartung und Pointe. Sein Witz ist scharf und dunkel – ein Optimist ist er gewiss nicht.

 

ES TILGEN FEUERZUNGEN (2012) • UA
Sieben Miniaturen (Wortfantasien) für Klavier allein zu vier Händen nach Gedichten von Ossip Mandelstam (1891–1938)
1. Der hohle Laut • 2. Keine Worte • 3. Aus schwülen Finsternissen • 4. Du kommst wieder! • 5. Dein Gesicht • 6. Die Luft – vertrunken • 7. Es tilgen Feuerzungen

Elf Stücke mit dem Untertitel Wortfantasie sind seit 2006 entstanden. Es ist hier nicht der Platz, um diese Werkgattung ausführlich zu erklären. Nur soviel: der Text ist Wort für Wort für das Instrument auskomponiert, er steht in den einzelnen Stimmen des Notensatzes, und die Ausführenden müssen die Worte innerlich mitgestalten, gleichsam mitsingen, ansonsten würden sie an der Musik vorbei spielen. • Der russische Dichter Ossip Mandelstam, im Verlauf der Stalinschen „Säuberungen“ der 1930er Jahre nach Sibirien deportiert und dort auf elende Weise umgekommen, ist bei uns noch wenig bekannt. Seine großartige, oft enigmatische Lyrik ist (Zitat Paul Celan, gekürzt) „der Ort, wo Sprache um jene Mitte versammelt wird, von der her sie Gestalt und Wahrheit gewinnt: um das die Stunde, die eigene und die der Welt, den Herzschlag und den Äon befragende Dasein des Einzelnen. Das Mandelstamsche Gedicht, das aus seinem Untergang wieder zutage tretende Gedicht eines Untergegangenen, geht uns Heutige an.“

 

DREI LIEDER (2013) • UA
für Sopran/zwei Soprane und Klavier nach Gedichten von Eduard Mörike (1804–1875)
Denk es, o Seele! • Ratschlag • Eifersucht

 

TWO VERY SHORT REQUIEMS (2012) • UA
on Poems by Dylan Thomas (1914–1953)
A Refusal to Mourn the Death, by Fire, of a Child in London
Wortfantasie für Klavier allein
And Death shall have no Dominion
für zwei Frauenstimmen und Klavier

Dylan Thomas‘ gesamte Lyrik, stärker noch als die Ossip Mandelstams, wirkt in so hohem Maße sprachverrätselt, voll verdeckter Anspielungen und Geheimnisse, dass eine Übertragung in eine andere Sprache fast unmöglich scheint. Erich Fried sagt: „Es ist schwer, die Eigenart der Verse von Dylan Thomas nicht ihren Zauber zu nennen. Das Ineinander von kunstvollem Versbau, Assonanzen, Reimen, Halbreimen und assoziativen Querverbindungen hat etwas vom Surrealismus und von alten lyrischen und hymnischen Traditionen seiner walisischen Heimat. Es wendet sich nicht nur ans Bewusstsein, sondern sucht durch unterschwellige Querstollen und Obertöne gleichzeitig kurze Wege zum Unbewussten.“ (Zitat gekürzt)

 

 

Die Ausführenden sind

Regina J. Kleinhenz, Sopran (Regensburg), studierte zunächst Kirchenmusik in Regensburg, danach folgte ein Hauptfachstudium Gesang an der Musikhochschule Würzburg bei Ingeborg Hallstein, 1990 das künstlerische Diplom. Sie konzertierte mit namhaften Orchestern (z.B. Münchner Symphoniker, Münchner Rundfunkorchester) im Oratorien- und Konzertbereich (Mozartfest Würzburg, Würzburger Bachtage, Europäische Festwochen Passau etc.) und wirkte bei Theater-, Rundfunk- und Schallplattenproduktionen, auch mit Neuer Musik, mit. Parallel zum Gesangsstudium pflegte sie ihre große Affinität zum Klavier intensiv weiter. Die Funktion als Klavierbegleiterin bei Gesangsmeisterkursen (besonders mit Ingeborg Hallstein), ein Lehrauftrag als Korrepetitorin an der Musikhochschule Würzburg, sowie die langjährige Zusammenarbeit als Sängerin u.a. mit dem Regensburger Barockensemble La Sfera zeigen ihre musikalische Vielfältigkeit. Ausgeprägte gesangspädagogische Fähigkeiten stellt sie seit Jahren engagiert der Ausbildung von Lehramtsstudenten an der Universität Regensburg zur Verfügung.

Die Münchnerin Gigi Pfundmair, Sopran (München), hatte zuerst privaten Gesangs- und Schauspielunterricht bei Elisabeth Hallstein und Marie Theres Gernot in München. Danach absolvierte sie ihr Gesangsstudium an der Hochschule für Musik Würzburg bei Ingeborg Hallstein. Nach dem Staatsexamen ging sie an die Hochschule für Musik Detmold zu Ingeborg Ruß. Während dieser Zeit hatte sie bereits einen Lehrauftrag für Gesang an der Universität Würzburg. Zahlreiche Konzerte führten sie unter anderem an die Philharmonie in Berlin, an das Staatstheater am Gärtnerplatz und an die Bayerische Staatsoper. Außerdem war Gigi Pfundmair als Gast am Würzburger Stadttheater engagiert und Preisträgerin diverser Wettbewerbe. In jüngerer Zeit unternimmt die Sängerin auch gern Ausflüge in andere musikalische Genres.

Michaela Schlotter, Klavier (Würzburg), erhielt ihre pianistische Ausbildung bei Kirsti Hjort und Erich Appel an der Hochschule für Musik Würzburg und erlangte 1998 das Meisterklassendiplom. Heute praktiziert sie eine rege Konzerttätigkeit als Solistin und Kammermusikpartnerin, die sie nach Japan, Italien, Rumänien und in die USA führte. Eine besondere Liebe der Pianistin gilt der Liedbegleitung. Mehrfach arbeitete sie mit Dietrich Fischer-Dieskau in Berlin, Rainer Hofmann (Frankfurt) und Helmut Deutsch (München) zusammen. Sie war Gast bei renommierten Festivals wie den Würzburger Bachtagen, den Bad Kissinger Klaviertagen und dem Kissinger Sommer. 2000 erschien ihre erste Solo-CD mit Werken von Bach, Schumann und Ravel, die im Bayerischen Rundfunk vorgestellt und in der FAZ rezensiert wurde. Als Dozentin (Klavier und Liedbegleitung) lehrt sie an der Hochschule für Musik Würzburg.

Rudolf Ramming, Klavier (Würzburg), ist Dozent für Klavier und Kammermusik an der Hochschule für Musik Würzburg, Träger des Kulturförderpreises der Stadt Würzburg und unterrichtet auf nationalen und internationalen Kursen, u.a. beim Kammermusikkurs der Jeunesses Muscales auf Schloss Weikersheim. Neben seiner freien Konzerttätigkeit (z.B. in Russland und den USA) wirkte er am Festival Ulm, dem Würzburger Mozartfest und den Festungskonzerten, dem Kultursommer Brüssel sowie den Tagen der Neuen Musik in Halle, Bamberg und Würzburg mit. Einen großen Teil seines künstlerischen Engagements widmet Rudolf Ramming den jungen Hörern. Beachtliches Aufsehen erregte seine CD-Reihe „Musik im Kinderzimmer“ mit klassischer Klaviermusik für Kinder von 0 bis 10 Jahren, die u.a. in DIE ZEIT und in der Süddeutschen Zeitung vorgestellt wurde. Projekte mit Musik an Grundschulen und Kindertheaterstücke schlossen sich an.

1992 fanden sich beide im Klavierduo Schlotter/Ramming zusammen. Auftritte in der Meistersingerhalle Nürnberg, der Sedlmayerhalle München, bei den Würzburger Festungskonzerten und den Bad Kissinger Klaviertagen sind einige der Stationen ihres gemeinsamen Auftretens. Im Rahmen einer Konzertreise spielte das Duo im Oktober 2001 in Japan und im März 2002 in den USA. Das Repertoire der Künstler umfasst Werke zu vier Händen ebenso wie für zwei Klaviere, z.B. von Mozart, Schubert, Brahms, Milhaud, Rossini, Orff u.a. Die Idee, schöne Klaviermusik einem breiten Publikum zugänglich zu machen, führte zu den Konzerten „Gut gelaunt mit zwanzig Fingern“.